BVV Friedrichshain
von Berlin


Rede der Bezirksverordneten Claudia Nawrot (DLL)
vor der Abstimmung über den Abwahlantrag
gegen Bezirksstadtrat Hildebrandt (PDS)
am 14. Januar 1998

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Vorsteherin!

In dieser wie auch in der vergangenen BVV ist im Zusammenhang mit dem Sportobjekt Pufendorfstraße und dem Bebauungsplan V-1 sehr viel davon gesprochen worden, daß sich der eine oder andere bei dieser oder jener Auffassung oder Handlung ausschließlich von Sachpolitik- hier von den Interessen der Friedrichshainer Bürger und Bürgerinnnen oder den der SportlerInnen und Sportler leiten ließe.

Ich denke, es steht jedem Bezirksverordne-ten und jeder Bezirksverordneten zunächst einmal gut an, dies von jedem Mitglied hier in der BVV anzunehmen.

Selbstverständlich ist auch, daß jeder hier davon ausgeht genau zu wissen, wie diese Interessen aussehen. Es ist auch natürlich, daß gerade deshalb die Aussichten über dieses Aussehen weit auseinandergehen.

Um so wichtiger ist für einen demokratischen Meinungsbildungsprozeß der Austausch über die Aussichten zu einem Problem und natürlich die umfassende Information der Bezirksverordneten zu allen betreffenden Aspekten durch diejenigen, die über diese Informationen verfügen.

Angesichts der hier vorgebrachten Argumentationen scheint es mir wichtig, noch einmal festzuhalten, daß die Fraktion der DLL durchaus für die Wahrung der Interessen der Sporttreibenden im Bezirk Friedrichshain, also auch für eine wettkampfgerechte Dreifelderhalle für dieselben ist. Dies kann man auch unserem heutigen Änderungsantrag zu diesem Thema entnehmen.

Die Fraktion der DLL ist auch nicht dagegen, in diesem Sinne über den Standort Samariterstraße zum Beispiel in der Variante von Herrn Hildebrandt vom Mai vergangenen Jahres oder im Kontext mit den von Herrn Staatssekretär Arndt vorgegebenen Einschränkungen zu diskutieren.

Sie wendet sich jedoch gegen den manipulativen Versuch, die angestrebte Realisierung der von Herrn Hildebrandt und Frau lbinus vorgestellten Planungen für ein Sportzentrum in der Samariterstraße gleichzusetzen mit einer Erfüllung von Interessen der Bewohner des Samariterviertels und der Sportler des Stadtbezirkes.

Diese Gleichstellung ist der Versuch, alle anderen Vorstellungen zum Bau einer Turnhalle bei möglichst umfangreicher Erhaltung von Grünflächen bzw. Schulgartenflächen als gegen die Interessen der Bewohner des Stadtbezirkes zu denunzieren.

Soweit zu unserer Sicht auf die Interessen der Anwohner und Sportler. Meine Kollegin, Frau Marohn, hat ja zu diesem Aspekt bereits gesprochen.

Dennoch möchte ich, gerade weil uns die Pufendorfstr. heute erneut beschäftigen wird, das eigentliche Anliegen unseres Abwahlantrages gerade am Verlauf der Debatte zu diesem Thema nach der letzten BVV noch einmal darlegen.

Wenn es richtig ist, daß für eine sachgerechte und kompetente Entscheidung der Bezirksverordneten die umfassende und korrekte Information die Voraussetzung ist, liegt hier eine besondere Verantwortung der Stadträte, die aufgrund ihrer Arbeit natürlicherweise über die meisten Informationen verfügen. Das heißt, sie entscheiden mit ihren Ausführungen, Darstellungen oder eben auch mit ihren Weglassungen bzw.

Halbwahrheiten maßgeblich darüber, ob wir eine Entscheidung wirklich sachgerecht treffen können oder nicht.

Die Art der Handhabung von Informationen sagt also vor allem etwas über das Demokratieverständnis desjenigen aus, der über sie verfügt. Wer wirklich eine kompetente Entscheidung der BVV im Interesse der Bürger erzielen will, müßte eigentlich daran interessiert sein, möglichst viele Fakten und Informationen wahrheitsgemäß weiterzugeben. Wie hier das tatsächliche Verhalten von Herrn Hildebrandt bis zur letzten BVV aussah, habe ich in der Begründung unseres Abwahlantrages bereits dargelegt.

Ich war auch ganz gespannt auf die Ausführungen von der Kollegin Frau Strobel zu diesem Thema, hatte sie doch angekündigt, zu diesen Fragen Stellung nehmen zu wollen. Einen nachweis darüber, daß unsere Argumente falsch gewesen waren, konnte ich ihrer Rede nicht entnehmen. Das läßt die Schlußfolgerung zu, daß die PDS dem Vorwurf, Herr Hildebrandt hätte gelogen, nichts wirklich Schlüssiges entgegenzusetzen hat. Seine eingenen Erklärungen zu diesem Thema konnten wir ja vorhin auf Anfrage der SPD miterleben.

Nun ist ja aber seit der letzten BVV durchaus einiges von Herrn Hildebrandt in Sachen Pufendorfstr. und Samariterstr. unternommen worden.

Ausgehend von unserer Begründung zum Abwahlantrag gegen den Bildungsstadtrat hätte man annehmen müssen, daß durch diesen ab sofort sorgfältig zu allen rechtlichen, finanziellen und fachpolitischen Aspekten bei dem von uns kritisierten Vorhaben informiert wird, um den Bezirksverordneten eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen.

Eine solche Informationspolitik hätte die konkrete Beantwortung der von uns heute eingebrachten mündlichen Anfrage zu diesem Thema bereits in den Ausschüssen Bauen und Bildung erfordert. Wir hatten sie dort bereits gestellt. Ich denke doch, daß die Zustimmung der BVV zu einem solchen Vorhaben erst möglich ist, wenn die Finanzierung derselben nachvollziehbar geklärt ist und klar ist, welche Kosten in der Folge auf den Bezirk zukommen und wie sich diese Kosten zu den jetzigen Kosten für das Objekt in der Pufendorfstr. verhalten.

Auch nach der heutigen Beantwortung unserer Anfragen ligen solche konkreten Zahlen zu den finanziellen Aspekten des Vorhabens nicht vor.

Ich kann mir nicht vorstellen, daß es hier einen Bezirksverordneten gibt, der glaubt, daß man heute irgendeine sachgerechte Entscheidung treffen kann, ohne solide Darstellung ihrer finanziellen Grundlagen. Soweit zu diesem Aspekt ungenügender Informationspolitik.

Nun zum Aspekt der rechtlichen Voraussetzungen für das Vorhaben Ersatzstandort Pufendorfstr., ohne Zweifel ein weiterer wesentlicher Punkt. Eine Planung, die nicht auf Rechtssicherheit beruht, darf man m.E. getrost abenteuerlich nennen. Wie also ist die Rechtssicherheit für den sogenannten Ersatzstandort Samariterstr.? Bekannt dürfte sein, daß dieser Standort in einem allgemeinen Wohngebiet eines Sanierungsgebietes liegt. Das heißt, daß er mit den Sanierungszielen festgelegten Beschränkungen und Zweckbestimmungen unterliegt. Für das oben genannte Vorhaben ist also die Änderung des Sanierungszieles notwendig, welches gegenwärtig die Errichtung einer Coop- Schule vorsieht. Dies ist jedoch keine alleinige Frage des Willens des Bezirksamtes oder der BVV, sondern bedarf neben der Zustimmung des Sanierungsträgers auch der der Senatsverwaltungen und sie mußnatürlich auch in Übereinstimmung mit geltendem Recht stehen.

Aus dem Schreiben von Staatssekretär Herrn Arndt vom 3.12.97 geht hervor, daß der Senat zwar der Aufgabe des bisherigen Sanierungszieles Coop- Schule zustimmt, aber es sagt gleichzeitig aus, daß eine weitgehende Schulgartennutzung erhalten bleiben, die neue Nutzung im Sinne §34 BauGB verträglich sein muß und die Baumasse überwiegend an der Samariterstr. errichtet werden soll. Wie auch immer man dieses Schreiben interpretiert, es ist die Reaktion der zuständigen Senatsverwaltung auf die Bitte, der vorliegenden Planung zur Änderung des Sanierungszieles zuzustimmen. Diese Zustimmung liegt aber nicht vor, sonst hätte Herr Arndt diese Einschränkungen nicht vorgenommen, sondern mitgeteilt- "wir stimmen zu".

Herr Arndt kennt also offensichtlich das auf dieses Vorhaben, ein Sportzentrum in der Samariterstraße zu errichten, anzuwendende Recht.

So wäre in diesem Falle zu prüfen, ob nach §34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 4 Baunutzungsverordnung das Vorhaben im Samariterviertel an dieser Stelle zulässig ist.

Die rechtliche Prüfung unsererseits hat ergeben, daß hierzu das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluß vom 2.7.91 entschied, daß in einem allg. Wohngebiet auch gemäß §4 Abs.2 Nr.3 Sportanlagen jedweder Art nicht allgemein zulässig sind (siehe Ernst- Zinkhahn- Bielenberg, BauGB Kommentar, Band IV, Teil E, Kommentar BauNVO). Diese Entscheidung des Gerichtes erging zu einem Kegelzentrum.

Nach §4 Abs.2 Nr.3 müssen sich Anlagen ihrem Umfang und Nutzungsmaß nach in das Gebiet einfügen. Ein Sportzentrum ist gemäß § 34 BauGB i.V. mit §§4 und 15 BauNVO unzulässig (siehe Boeddinghaus/Diekmann, BauNVO Kommentar, 3. Auflage, §4 Randnummer 5).

Herr Arndt kann also diesem Vorhaben nicht zustimmen, da eine solche Zustimmung einer Klage nicht standhalten würde.

Wenn also die zuständige Senatsverwaltung einer Änderung des Sanierungszieles zugunsten eines Sportzentrums gar nicht zustimmen darf, wird es diese Zustimmung auch nicht geben.

Das heißt, weder für das Vorhaben und logischerweise auch für die vorgesehene europaweite Ausschreibung gibt es Rechtssicherheit.

Zusammengefaßt will ich hier noch einmal Folgendes festhalten: Die Bezirksverordneten haben bisher keinerlei gesicherte Kenntnisse zu den Kosten und der Finanzierung des Vorgabens und zu den für den Bezirk entstehenden Unterhaltungskosten aus dem Vorhaben. Das einzige, was ziemlich klar ist, daß es keine Rechtssicherheit für das geplante Vorhaben insgesamt gibt.

Wer sich nun das Auftreten von Herrn Hildebrandt in den verschiedenen Ausschüssen der BVV, in der Schulkonferenz oder in der Presse anschaut, wird vergeblich nach Anzeichen einer realistischen Information der Verordneten und der Öffentlichkeit suchen. Im Gegenteil, da ist euphorisch die Rede von einem Ausschreibungsbeginn im Februar, einem Baubeginn noch in diesem Jahr und einer fertigen Halle im Jahr 2000, und dies alles ohne die Sicherheit, daß diese Versprechen gegenüber den Schulen, Sportlern und Bürgern eingehalten werden können.

Natürlich wirft dieses Verhalten die Frage auf, wozu das alles? Ganz offensichtlich geht es gar nicht zuerst um das Projekt in der Samariterstraße, sondern darum, dem Investor Büll & Liedtke in der Pufendorfstraße das Sportobjekt aus dem B- Plan V-1 nehmen zu können. Ohne Ersatzobjekt, und sei es auch nur ein scheinbares, geht das natürlich nicht. Das Problem daran ist nur, wenn Büll & Liedtke der Abriß des jetzigen Sportobjektes gestattet wird und der Standort Samariterstr. nicht sicher ist, werden am Ende die Sportler die Leidtragenden sein. Das alte Objekt wird verschwinden, ob ein Neues kommt, steht in den Sternen.

Wer wirklich eine Lösung im Interesse der Sportlerinnen und Sportler, der Bürger des Bezirkes will, kann so ein unseriöses Vorgehen nicht mittragen.

Das weiß natürlich Herr Hildebrandt. Mit Unterstützungvon Frau Albinus werden daher Informationen so in den Ausschüssen weitergegeben, daß am Ende ein Antrag entsteht, in welchem von einem Ersatzstandort Samariterstr. die Rede ist. Das es diesen, so wie die Planung jetzt aussieht, gar nicht geben kann, wird den Ausschußmitgliedern verschwiegen.

Es wird darauf spekuliert, daß nach einer Beschlußfassung in der BVV eher eine Zustimmung beim Senat zur Änderung der Sanierungsziele erreicht werden kann. Die finanziellen und rechtlichen Aspekte, die gegen das Projekt sprechen, läßt man unter den Tisch fallen, obwohl klar ist, daß diese weiter bestehen und Ignoranz ihnen gegenüben fatale Folgen für die Sportler haben wird. Seriöse Alternativen werden gar nicht weiter gesucht. das ist keine solide Politik im Interesse Friedrichshains, sondern ein verantwortungsloses Glücksspiel mit einer sehr geringen Gewinnchance

Hier schließt sich für uns der Kreis. Niemand kann Bezirksverordneten einen Vorwurf machen, wenn sie Beschlüsse fassen oder vorschlagen, die auf falschen oder unzureichenden Informationen beruhen. Ein Stadtrat, der jedoch gezielt und absichtsvoll eine Beschlußfassung der BVV herbeizuführen bemüht ist, die klar gegen die geltende Rechtsprechung und bestehende rechtliche Bestimmungen gerichtet ist, und dafür offensichtlich auch bereit ist zu lügen, darf unserer Ansicht nach nicht mehr im Amt bleiben.

Es wird heute nicht über die vorliegende Planung abgestimmt, auch nicht darüber, ob wir für oder gegen Grünflächen oder Schulgärten, für oder gegen Autoverkehr sind, sondern die Bezirksverordneten stimmen heute darüber ab, ob sie sich auch in Zukunft Halbwahrheiten und Lügen bieten lassen und diese zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen. Sie geben mit ihrem Votum darüber Auskunft, ob sie eine wirkliche Vertretung der Interessen der Bürger des Bezirkes für möglich halten, wenn ihnen seitens eines Stadtrates falsche, keine oder unzutreffende Informationen zu einem konkrete Interessen betreffenden Vorgang gegeben werden. Ich habe die Hoffnung, daß dies von der übergroßen Mehrheit der Mitglieder dieser BVV nicht so gesehen wird und sie trotz aller weiter bestehenden politischen Differenzen einem solchen von Herrn Hildebrandt praktizierten Politikstil ein klares Votum entgegensetzen.