BVV Friedrichshain
von Berlin


Rede der Bezirksverordneten Claudia Nawrot (DLL)
bei der Einbringung des Abwahlantrags
gegen Bezirksstadtrat Hildebrandt (PDS)
am 10. Dezember 1997

Sehr geehrte Damen und Herrn!
Werte Vorsteherin!

Seit einigen Tagen liegt ihnen der Abwahlantrag der Demokratischen Linken Liste gegen Herrn Hildebrandt vor.

In ihm wird gesagt, daß wir den Antrag in der BVV mündlich begründen werden, dies möchte ich hiermit tun. Einige von ihnen werden möglicherweise unsere Presseerklärung vom 5. Dezember kennen. Wir haben sie heute auch noch einmal verteilt. In dieser Erklärung machen wir Herrn Hildebrandt zum Teil erhebliche Vorwürfe, die ich hier erläutern und nach unserer Ansicht auch beweisen werde. Dabei werde ich mich streng an die vorhandenen Fakten halten und mich jeglicher, nicht klar belegbarer Argumente (Aussagen) enthalten. Ich denke, das wird Ihre Zustimmung finden.

In der Presseerklärung wirft (ich zitiere) "die DLL ... dem PDS-Stadtrat jahrelange Untätigkeit und Unfähigkeit bei der Sanierung oder Sicherung des Standortes Sportobjekt Pufendorfstraße und den Versuch vor", daß er "die Folgen seiner nachlässigen Amtsführung auf dem Rücken der Bewohner und der kleinen Gewerbetreibenden des Sanierungsgebietes Samariterviertel austragen" will.

Zuerst zum Vorwurf der Untätigkeit

Das Objekt Pufendorfstraße ist kein neues Thema in der BVV Friedrichshain. Bereits 1992/1993 gab es einen Untersuchungsausschuß der BVV, der sich mit dem damaligen Problemen im Zusammenhang mit der nicht erfolgten Sicherung des Geländes für den Bezirk befaßte. Ohne Zweifel haben die damaligen Fehler in der Arbeit des Bezirksamtes erst die Privatisierung des Geländes Sportobjekt Pufendorfstraße und damit die heutige Situation ermöglicht. Es gibt also auch keinen Grund, Herrn Hildebrandt für die ungünstigen Ausgangsbedingungen, die er bei der Übernahme dieses Amtsbereiches vorfand, verantwortlich zu machen. Diese tragen andere. Notwendig wäre die heutige Diskussion trotzdem nicht. Es gab nämlich Schlußfolgerungen der BVV aus dem damaligen Versagen des Bezirksamtes (nachlesbar im Beschluß der BVV Nr. 1018/93). Diese lauteten ( ich zitiere):

Dem Bezirksamt wird empfohlen:

  • von BA- Sitzungen, wichtigen Beratungen einschließlich Investorengesprächen Inhaltsprotokolle o.ä. zu fertigen;
  • Vereinbarungen mit Investoren und anderen Dritten verbindlich und einklagbar zu treffen;
  • bei fachübergreifenden Projekten verbindliche Entscheidungen über die Federführung und Arbeitsteilung im BA zu treffen;
  • selbständig bei erkennbaren Problemen rechtzeitig und umfassend die BVV zu informieren.

Von den genannten Punkten wurde u.E. nur einer realisiert. Im Protokoll des Bauausschußes vom 17.06.1997 wird der Bildungsstadtrat als Verhandlungspartner d.h., als federführend für die weiteren Verhandlungen zur Errichtung einer Dreifeldhalle als Ersatzobjekt für die Pufendorfstr. benannt und trägt somit die Hauptverantwortung für diesen Vorgang. Dies erfolgt allerdings erst im Juni 97, also anderthalb Jahre nach Amtsübernahme, wie dem gleichen Protokoll zu entnehmen ist. Zumindest spricht dieser Umstand nicht gerade für eine besonders emsige Tätigkeit des Stadtrates. Wir sagen dazu Untätigkeit.

Nach Aussage des Stadtrates im Bildungsausschuß am 8.12. hat er bis heute keine schriftlichen und einklagbaren Vereinbarungen mit dem Investor und dem Senat, was aus unserer Sicht bei einer Investition von 650 Mio DM nicht dafür spricht, daß Herr Hildebrandt den Anforderungen seines Amtes gewachsen ist. Staatssekretäre, die seit Jahren nicht mehr im Dienst sind, mit ihren Aussagen von 1993 verantwortlich für die jetzige Situation zu machen, ist uns zu weit hergeholt. Festzuhalten ist auf jeden Fall, daß die beiden ersten Schlußfolgerungen der BVV aus dem gleichen Jahr, vier Jahre später noch immer nicht zum Repertoir der Amtsführung von Herrn Hildebrandt gehören. Wir nennen das Unfähigkeit.

Zu der Frage, inwiefern Herr Hildebrandt selbständig, rechtzeitig und umfassend die BVV informiert hat, kommen wir im folgenden noch ausführlich.

Hier eine kleine Chronologie

  • Im Mai 97 erfolgte eine Information zum Alternativstandort für das Sportobjekt Pufendorfstr. im Ausschuß für Bildung und Sport (Protokoll vom 15.7.97) durch Herrn Hildebrandt. Er teilt mit (ich zitiere:) "Die Gespräche konzentrieren sich gegenwärtig auf die ehemalige Gartenarbeitsschule Samariterstr., wo in Absprache mit Bauen und Wohnen an einer Konzeption gearbeitet wird, die für den hinteren Teil die Errichtung einer Dreifeldsporthalle und für den vorderen Teil die Gestaltung eines Stadtparkes vorsieht."

  • Im Juni im Ausschuß für Bauen und Stadtgestaltung gibt Frau Albinus Auskunft zur Pufendorfstr. (ich zitiere aus dem Protokoll):

    • "Informationen dazu bereits in der BVV im Juni,

    • Zustimmung für die Sanierungsziele Seitens des Senates liegt noch nicht vor,

    • Bau einer Dreifeldhalle (Bezirksstadtrat wurde beauftragt, die entsprechenden Verhandlungen zu führen)"

  • Aus dem Wortprotokoll der BVV am 11.6.97 geht hinsichtlich des Sportobjektes Pufendorfstr. und des Geländes Samariterschulgarten hervor, daß Herr Hildebrandt auf meine Nachfrage (ich zitiere): "Das Ersatzobjekt Pufendorfstr. ... im Samariterviertel" erwähnt. Eine weitere Auskunft zu dem Vorhaben ist dem Wortprotokoll der BVV beim besten Willen nicht zu entnehmen. Auch in den Protokollen der BVV-Sitzungen im September und November sind aus den Antworten auf unsere Anfragen zu diesem Thema keine neuen Erkenntnisse zu gewinnen.

    Es gibt zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich der im Mai getroffenen Aussagen keinen neuen Sachstand. Wir haben also unsere Verantwortung, die Tätigkeit des Bezirksamtes kritisch zu hinterfragen, sehr ernst genommen, und uns bemüht, das Thema regelmäßig auf die Tagesordnung zu setzen! Gleiches kann von Herrn Hildebrandt kaum in Anspruch genommen werden.

Faßt man die von ihm bzw. von Frau Albinus bis dahin getroffenen Aussagen zusammen, ergibt sich folgendes Bild:

  • Seitens des BA wird auf Initiative von Herrn Hildebrandt erwogen, die ursprünglich in der Pufendorfstr. vorgesehene Ersatzlösung für das vorhandene Sportobjekt auf das Gelände in der Samariterstr. in Form einer Dreifeldhalle zu verlagern. Eine Stellungnahme des Senates zur offensichtlich schon ganz konkret beantragten Änderung der Sanierungsziele liegt noch nicht vor. Das Einzige, was die Verordneten zu diesem Zeitpunkt wirklich wissen ist, daß es die Absicht gibt, auf dem Schulgartengelände statt einer Coop-Schule eine Dreifeldsporthalle sowie einen Stadtpark, ich wiederhole, einen Stadtpark zu errichten. Darüber hinaus kennt die BVV aufgrund unserer Anfrage den Senatsbeschluß 12/3620/93 zum Erhalt der Schulgärten und die ablehnende Haltung Herrn Hildebrandts zur Umsetzung dieses Beschlusses, trotz einer gegenteiligen Aufforderung aus der Senatsbauverwaltung.

    Ergo gibt es bis zum 27.11.97 von Frau Albinus und Herrn Hildebrandt keine Aussagen über konkrete Vorplanungen, keine Zusagen zur Änderung der Sanierungsziele seitens des Senates, keine Anträge zur Änderung des B-Planes V-1 für die Pufendorfstr. und auch keine Aussagen zur Finanzierung des Vorhabens. Nichts. Was es für die Bezirksverordneten gibt, ist eine Idee vom Mai 97. Immerhin ein Fortschritt nach zwei Jahren Amtsführung des Herrn Hildebrandt.

  • Fünf Monate später überschlagen sich plötzlich und unerwartet die Ereignisse!

    Auf unsere in der DS 1463 gestellten Fragen antwortet Herr Hildebrandt am 24.11.97 mit dem gleichen Sachstand wie im Mai. Auf die konkrete Frage Nr. 4, ob es (ich zitiere)"... Vorbereitungen zur Änderung der bisherigen Nutzung" des Schulgartens gibt, antwortet er mit "Nein". Er teilt weiterhin mit, daß die Senatsverwaltung noch nicht über eine Änderung der Sanierungsziele entschieden hat. Da der Stadtrat keine neuen Informationen gegeben hat, mußte diese Auskunft auf die bis dahin bekannt gewordenen Vorstellungen vom Mai des Jahres bezogen werden.

  • Aus der Beantwortung der Anfrage geht nicht hervor, daß es inzwischen völlig andere Überlegungen zur Bebauung des Schulgartens gab. Es geht aus dieser Antwort weiterhin nicht hervor, daß für dieses doch ganz andere Vorhaben inzwischen eine sogenannte Vorplanung von der Bauabteilung in Auftrag gegeben wurde, was anscheinend aus Ordnungsmitteln, ich erinnere an das leidige Problem der immer wieder angesprochenen Haushaltslage, für Sanierungsgebiete finanziert wurde. Diese Planung hat dem Bezirksamt bereits im Oktober zur Diskussion vorgelegen und war spätestens seit dem 20.10.97 abgeschlossen.

  • Nun könnte man an dieser Stelle einwenden, Herr Hildebrandt wollte die BVV erst informieren, wenn die Zustimmung des Senates vorliegt.

    Obwohl hier die Frage auftaucht, warum schon wieder die Schlußfolgerungen aus 1993 außer Acht gelassen und die Möglichkeiten zur rechtzeitigen und umfassenden Information so verschenkt wurden, könnte dies zumindest bis zu diesem Zeitpunkt als entlastendes Moment für Herrn Hidebrandt angeführt werden. Es stellt sich aber sehr schnell heraus, daß das Problem doch ein anderes war und die geringe Auskunftsfreudigkeit zur Haltung des Senats einen ganz anderen Hintergrund hatte.

  • Über den scheinbar tatsächlichen Stand der Dinge teilt Frau Albinus den verdutzten Ausschußmitgliedern wenige Tage nach dem Schreiben des Bildungsstadtrates, am 27.11.97, ebenfalls schriftlich mit, (ich zitiere) "Die Vorplanung des Ersatzobjektes in der Samariterstr. 19/20 lag bereits der Senatsverwaltung für Bauen Wohnen und Verkehr vor. Die oben genannte Senatsverwaltung stimmt der notwendigen Änderung der Sanierungsziele zu". Nur scheinbar richtig war dieser Stand, weil sich später zeigte, daß diese Aussage erneut die halbe Wahrheit aber eine ganze Lüge war.

  • In der Einladung zu der gemeinsamen Sondersitzung der Ausschüsse Bauen und Bildung am 2.12.97 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß bis Jahresende Entscheidungen gefällt werden müßten. Es ist nicht klar, welche dies sein sollen, eine Änderung des B-Planes V-1, eine Änderung der Sanierungsziele im Samariterviertel oder was auch immer.

Es ist nicht das erste Mal, daß nach monatelanger Informationsdurststrecke die Bezirksverordneten moralisch unter Druck gesetzt werden und als die Verhinderer dastehen, wenn sie ihre demokratischen Rechte und Pflichten ernst nehmen.

Unter diesen Umständen war ein konstruktiver Verlauf der Sondersitzung nicht möglich. So wurde über das Ersatzobjekt Pufendorfstr. erst am 8.12.97 im Bildungsausschuß beraten.

Der Ausschuß wurde in den Darlegungen der Stadträte erneut im unklaren über die wirkliche Haltung des Senates gelassen und nicht wahrheitsgemäß und umfassend informiert. Selbst als es möglich gewesen wäre, dies zu tun, mußte ein Mitarbeiter der Senatsverwaltung dafür sorgen, daß die bewußt unvollständig wiedergegebenen Aussagen von Staatssekretär Arndt vollständig zur Sprache kamen.

In diesem Schreiben vom 3.12.97 heißt es,(ich zitiere), "...wir stimmen in sofern grundsätzlich einer Änderung dieses Zieles mit der Maßgabe zu, daß die vorhandene Schulgartennutzung weitgehend erhalten wird, die neuen Nutzungen im Sinne §34 BauGB verträglich sind und die Baumasse überwiegend an der Samariterstr. errichtet wird. In das weitere Verfahren bitten wir Sie, uns einzubeziehen."

Diese Aussage nun erklärt allerdings, warum Herr Hildebrandt so große Probleme mit der Haltung des Senates hat. Eine europaweite Ausschreibung eines Vorhabens, welches in Kollision mit der Bereitschaft des Senates zur Änderung der Sanierunsziele steht, kann es nicht geben.

Damit wird aber auch die Veränderung des B-Planes V-1 in der Pufendorfstr. fraglich. Ergo werden die Bezirksverordneten ein wenig belogen und ein wenig unter moralischen Druck gesetzt. Vielleicht kommt man ja so zum Ziel.

Für uns ergeben sich hier an dieser Stelle noch einige Fragen.

  • Wie wird mit den vielen kleinen Gewerbetreibenden (im Bereich Fitness, Sauna, Solarium, Massage und Kosmetik) im Samariterviertel umgegangen, die bei dem Bau eines solchen Konkurrenzobjektes zwangsläufig in die Existenzkrise getrieben werden?

  • Wie wird mit den Bewohnern umgegangen, die dann fürchten, daß sie noch mehr Verkehr, Lärm und Gestank ertragen müssen?

  • Und letztendlich die Frage, wie wird mit den Schülern und Freizeitsportlern umgegangen, denen wieder einmal etwas versprochen wird, was aus unserer Sicht so nie passieren wird.

Es ist natürlich klar, daß jede Fraktion hier im Saal eine völlig andere Auffassung zu den inhaltlichen Aspekten des Vorganges haben kann und sicher auch hat. Nur in einer Frage dürfte doch hier bei allen Demokraten Einigkeit bestehen, eine Politik nach der Methode, der Zweck heiligt die Mittel, darf nicht wieder zugelassen werden. Von Niemanden und schon gar nicht von einem Teil derjenigen, die einst lautstark verkündet haben, daß das nie wieder vorkommen würde.

Anstelle eines Ersatzobjektes auf dem Standort "Forum Friedrichshain" in der Pufendorfstr. (Investitionsvolumen ca. 650 Mio.) soll nach dem Willen Hildebrandts ein privater Neubaukomplex von Fitnesscenter, Sauna, Solarium bis Kegelbahn mit einer Turnhalle und winzigen Schulgärtchen auf eine im FNP als Schulstandort vorgesehenen Fläche gesetzt werden. Damit würde die letzte größere kommunale Freifläche im Gebiet zugebaut. Dies wäre ohne eine Änderung der Sanierungsziele für das Samariterviertel und des B-Planes V-1 in der Pufendorfstr. nicht möglich. Ersteres erforderte das Einverständnis der zuständigen Senatsverwaltungen, zweites die Zustimmung der BVV.

Offenbar unter dem Druck des Investors versuchen Hildebrandt und Albinus diese Schritte noch vor dem Jahresende durchzusetzen.

Zu diesem Zweck schrecken Hildebrandt und seine Kollegin Albinus (Baustadträtin, parteilos mit Mandat der PDS) auch nicht davor zurück, eine Schmierenkomödie aufzuführen in der gelogen wird, daß sich die Balken biegen.

Um die Zustimmung der BVV zu erhalten, wird dieser von Frau Albinus schriftlich mitgeteilt, der Senat hätte der Änderung der Sanierungsziele und der Bauplanung zugestimmt, obwohl Hildebrandt zwei Tage (!) vorher auf Anfrage, ob es überhaupt solche Planungen gäbe, schriftlich unmißverständlich und kurz mit "nein" geantwortet hatte. Nachdem bereits Frau Albinus ihren Kollegen der Lüge überführt hat, liegen inzwischen weitere Beweise dafür vor, daß Hildebrandt seit Monaten über das Vorhaben im Bilde war und es aktiv an der BVV vorbei betrieben hat. Allerdings gibt es bisher auch keine Zustimmung durch die zuständigen Senatsverwaltungen. Lediglich eine Prüfung, ob einer Änderung der Sanierungsziele zu Gunsten des Investors zugestimmten könnte. Dies äußerte jedenfalls der zuständige Senator Klemann (CDU) auf mündliche Anfrage in der gestrigen Sitzung des Bauausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses. Zu ihrer Rechtfertigung berief sich Frau Albinus auf Staatssekretär Arndt (CDU), der ihr eine Änderung der Sanierungsziele bereits mündlich zugesagt habe. Auch hier taucht wieder die Frage auf wer denn nun lügt, Herr Klemann, Frau Albinus oder gar Herr Arndt ?

Auf die Beantwortung dieser Frage sind wir schon ganz gespannt. Unabhängig von ihre Beantwortung sind wir jedoch schon jetzt der Auffassung, daß Stadtrat Hildebrandt seine Verantwortung im Amt so eklatant vernachlässigt und die Bezirksverordneten in einer solchen Weise belogen hat, daß alles andere als eine Abwahl ein sehr merkwürdiges Licht auf das Demokratieverständnis der BVV Friedrichshain werfen würde.